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Channel: Totenzettel – 1914-1918: Ein rheinisches Tagebuch
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3. November 1918

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Stadtarchiv Düsseldorf, „Tagebuch Willy Spatz“ 1914-1919. 0-1-23-61.0000

Alle Scans zum Tagebucheintrag vom 3. November 1918

Willy Spatz (1861-1931) war Professor an der Kunstakademie Düsseldorf.

Sonntag, den 3. November.

[Artikel „Gewaltiger Feindesansturm gescheitert. Schlachten bei Valenciennes, bei Aisne und Maas.“]

„Die Schicksalsschläge sausten in der letzten Woche mit solcher Wucht auf das deutsche Volk nieder, daß wir kaum zur Besinnung kamen Der Rücktritt Ludendorffs läutete
 
4119.
jäh und grell den Sonntag ein, dann kam die Bitte Andrasy´s um einen Sonderfrieden, der Abzug unseres „Bundesgenossen“ aus Italien, der Zerfall der habsburgischen Monarchie in Republiken, Straßenkämpfe und die Ermordung Tiszas, des stärksten und furchtlosesten ungarischen Staatsmannes. Weiter kapitulierte die Türkei, das junge Boris’sche Königtum in Bulgarien brach zusammen. Wir sandten eine neue Note an Wilson und erwarten nunmehr Tag und Nacht, Stunde auf Stunde die Waffenstillstandsbedingungen, während unsere Feinde mit Orgien der Rachsucht, mit Forderungen auf Kosten des Ostens und Westens, Helgolands, der Kolonien, ja der nationalen Einigung und der Krone, mit den entehrendsten Bedingungen sich selbst Mut machen. Ist es ein Wunder, wenn die Nerven eines derartig gemarterten Volkes bei Beginn des fünften Kriegsjahres zu streiken begännen und zeugt es nicht für eine ungebrochene Volkskraft, daß die Arbeit in der Heimat trotz aller Qualen und Erregungen ruhig ihren Weg des Werkeltags geht und der  Kleinmut verflogen ist.“ – Ja, die Kauflust für Kunstwerke ist noch nicht ganz dahin. Ich merke es an mir selbst, denn seit gestern stehe ich in Unterhandlungen wegen Verkaufs der größeren Zeichnung zu meinem früheren Bilde: „in stiller Stunde“. Der Käufer hat noch Zweifel, ob er nicht die Zeichnung durch mich in Oelfarben ausführen lassen soll. Hoffentlich zerschlägt sich nicht im letzten Augenblick noch der ganze Handel. Auch meine Portrait-Vorarbeit fand gestern Nachmittag den vollsten Beifall der Bestellerin, der Mutter des 13 jährigen, rothaarigen, lieben Mädels, das ich portraitieren soll. So finde ich wenigstens etwas Ablenkung von meinen düsteren Gedanken über die furchtbare Allgemeinlage –


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